„Wenn sich Lesegewohnheiten verändern, wandelt sich auch die Gesellschaft mit“

„Wenn sich Lesegewohnheiten verändern, wandelt sich auch die Gesellschaft mit“

Jedes Jahr, kurz vor dem Weltfrauentag  ist es jedes Mal das gleiche: Die unendliche Diskussion darüber, ob es überhaupt einen Weltfrauentag geben soll. Es gäbe eh keine Ungleichheit in Deutschland (oder Dänemark), wird proklamiert. Wir wären ja schon so weit… Es sei keine Gleichheit, dass es einen Weltfrauentag gibt, solange die Männer keinen hätten. Auf der einen Seite freue ich mich darüber, dass manche Frauen so glücklich sind, und so gute Leben leben, dass sie keine Ungleichheit, Diskriminierung oder Sexismus erleben oder durchstehen müssen. Aber ich ärgere mich auch. Wie eines meiner Lieblings-Memes es audrückt: If you aren’t pissed off, you’re not paying attention.

Und es gibt vieles, über das man sich heute noch aufregen kann und muss. Z.B. uns über das aufregen, was uns die Spiegel Bestsellerliste jedes Mal aufs neue präsentiert: Das merkwürdige Ungleichgewicht der Geschlechter bei den meist verkauften Büchern in Deutschland. Und es liegt nicht daran, dass es weniger Autorinnen gibt. Die Spiegel Bestsellerliste ist eine Sache, aber in der Wirklichkeit wird dieser „Tendenz“ zum Glück nicht überall widerspiegelt. Deswegen habe ich Emilia von Senger geschrieben, um zu fragen wie sie die Wirklichkeit als Buchhändlerin der Berliner Lesen und lesen lassen Buchhandlung erlebt.

Gibt es zu wenige Frauen in der Literaturbranche?

Ich glaube nicht, dass es zu wenige Frauen in der Literaturbranche gibt. Sicherlich gibt es nicht genug Frauen in hohen Positionen, beispielsweise Verlegerinnen. Die Gründe dafür sind, schätze ich, ähnliche wie in anderen Bereichen auch – schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Männer fördern Männer, anerzogenes mangelndes Vertrauen in die eigenen Leitungsfähigkeiten etc.

Wirklich auffällig ist aber, dass Frauen, obwohl sie ebenso viel schreiben, weniger Aufmerksamkeit bekommen: Sie werden weniger im Feuilleton besprochen, weniger übersetzt und bekommen weniger Literaturpreise. Weniger Aufmerksamkeit bedeuten in der Folge auch geringere Verkäufe, schmalere Honorare und niedrigere Vorschüsse für das nächste Buch.

Die Buchhandlung Lesen und lesen lassen

Verkaufen sich Bücher von Frauen wirklich schlechter als die von Männern?

In der Buchhandlung „Lesen und Lesen lassen“, in der ich arbeite, wurden sieben (!) der zehn meistverkauften Bücher 2018 von Frauen geschrieben. Wir verkaufen Literatur von Frauen also sogar besser, aber das liegt mit Sicherheit auch an der „Blase“ Friedrichshain. Mein Eindruck ist leider, dass Autorinnen, vielleicht mit Ausnahme von Juli Zeh, immer noch (und auch in Friedrichshain) meistens von Frauen gekauft und gelesen werden. Ich wünsche mir, dass Männer bewusst anfangen Autorinnen wie Woolf oder aktueller Ferrante oder Roupenian zu lesen, so wie wir eigentlich schon immer und selbstverständlich Autoren wie Frisch oder Knausgård lesen. Gerade Literatur kann uns Lebensrealitäten eröffnen, die außerhalb unserer eigenen liegen. Wenn sich Lesegewohnheiten verändern, wandelt sich, davon bin ich fest überzeugt, auch die Gesellschaft mit. 

Sprechen wir von Gleichstellung in der Literaturbranche: Sind wir in den letzten Jahren weitergekommen? Und wie erreichen wir das Ziel? 

Auf jeden Fall! Die #metoo Bewegung ist natürlich auch in der Literaturbranche angekommen, feministische Bücher sind cool, werden viel gekauft und dementsprechend auch viel verlegt. Ob die Entwicklung zur Zeit nur oberflächlich ist, wird sich zeigen, das Bewusstsein für Missstände ist auf jeden Fall da.

Wir können Gleichstellung fördern, indem wir Autorinnen kaufen, lesen, an Männer verschenken ;-), verlegen, besprechen und uns untereinander vernetzen. Von Verlagen wünsche ich mir, dass sie Literatur von Frauen mutiger vermarkten – zum Beispiel durch bessere, geschlechterneutralere Cover. 

Wer ist deine Lieblingsautorin? 

Uiii, schwere Frage. Mein all time favourite ist, so wenig originell es auch ist, „Die Glasglocke“ von Sylvia Plath. Es ist immer noch DAS Buch für mich, hat mich genau zum richtigen Zeitpunkt erwischt und mein Lesen für immer verändert. Im letzten Jahr fand ich auch ganz toll: Annie Ernaux, Nicole Krauss, Deborah Levy, Lisa Halliday, Rachel Cusk natürlich, Sally Rooney und gerade auch Samanta Schweblin.

Nord Verlag spricht mit Emilia von Senger, darüber wie sie die Wirklichkeit als Buchhändlerin der Berliner Lesen und lesen lassen Buchhandlung erlebt.