Neugefickt und froh – Interview mit Ingvild Lothe

Neugefickt und froh – Interview mit Ingvild Lothe

Ingvild Lothe schreibt über die Verletzbarkeit in einer Zeit, wo Unverletzlichkeit das Ideal ist

Ingvild Lothes Warum bin ich so traurig, wenn ich doch so süß bin?  ist ein Buch über die persönliche Katastrophe, über Depression und darüber, Verletzbarkeit im selben Körper zu tragen, in dem man auch die Erinnerung an das Kind, das man einmal war, hat. Es ist ein verletzliches Ich, eine helle skandinavische Frau, die im Gedichtband spricht, und es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass es die eigene Geschichte Ingvild Lottes ist, die Gegenstand für die künstlerische Bearbeitung war. 

Es sind autobiographische Gedichte, wie es im Norden heißt, mit politischer Wut und einem scharfen und leuchtenden poetischen Blich für die Konsequenzen in einer reichen und guten Gesellschaft aufzuwachsen: Eine Gesellschaft, in der man dachte, Glückseligkeit wäre einfach zu erreichen, aber es sich zeigt, dass es schwierig ist Glück festzuhalten und es wird noch schwierig daran zu glauben –  weil die persönlichen Katastrophen, die Forderung perfekt zu sein, der perfekte Körper und die produktive Gedanken immer größer werden, in einer anscheinend fehlerlosen Gesellschaft. 

Die Gedichte in Warum bin ich so traurig, wenn ich doch so süß bin? haben als Ausgangspunkt die körperliche Erfahrung der Depression, wenn die Angst sich zeigt, wenn die Gesellschaft  zu viel von uns fordert, wenn wir das Gespür für die Grenzen zwischen der psychischen Wirklichkeit und der physischen verlieren. Aber der Körper vergisst nicht, der Körper erinnert und trägt das Erlebnis von Missbrauch und Gewalt mit sich: 

“Ich würde was über die schlechten Erlebnisse in Bezug auf Intimität sagen. Dass können böse, sexuelle Erlebnisse sein, es kann Gewalt sein. Und um weiterzukommen, oder, um wieder zu trocknen, ist der Körper dazu gezwungen, die schlechte Erlebnisse zu vergessen”, sagt Ingvild. 

In den Gedichten von ihr, wird die körperliche Verbindung zur Welt politisch. Wir sollen unsere Verbindung mit der Materie wiederentdecken. Das Internet hat unsere Verbindung zur Welt kaputt gemacht, wie Ingvild schreibt, und es ist diese Verbindung, die sie in ihren Gedichten untersucht. Es ist die kindliche, noch-nicht-zivilisierte Einstellung zur Welt, wie ein unbewusster Blick auf das Dasein, ein kindliches und physisches Verständnis der Wirklichkeit, erklärt sie: 

“Ein Kind versteht nicht unbedingt Die Situation, in der sie sind und mit der sie sich abfinden. Wenn das Kind größer wird, lernt es die Situationen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, und da entsteht die Erschöpfung, und diese kann groß sein!” 

Die Offenheit des Kindes und die nicht-bewusste Einstellung zur Welt wird in Warum bin ich so traurig, wenn ich doch so süß bin? in einen Raum verwandelt, in den die Gesellschaft nicht eindringen kann, ein Raum in dem man sich selber vergisst und Kontakt zum eigenen Körper wieder findet, wie neugefickt und froh zu sein, wie Butterblumen zu pflücken und froh zu sein, wie das Kind, das man einmal war. 

Interview von Mikkel Andersen, Übersetzung Lars Bliesener